Leseprobe – „Ein wertvolles Leben“

von Jessica Lieser

In funkelnden Reihen rollten wir unseres Weges. Dicht an dicht, in regelmäßigem Abstand, näherten wir uns dem großen, schwarzen Loch, bis wir schließlich mit viel Getöse und einem hellen Klirren unsere Bahnen in den zahlreichen Röhren erreichten. Um uns herum herrschte geschäftiges Treiben und ich empfand eine unbestimmte Aufregung. Endlich war der Tag gekommen und ich würde meine Bestimmung erfüllen. Einige von uns kamen in andere Rohre und so trennten sich unsere Wege. Andere folgten mir in das lange Rohr. Es folgte eine rasante Rutschpartie, bei der einem ziemlich schwindlig werden konnte. Wohin dieser Weg mich wohl führen würde? Vieles habe ich bereits gehört, was nach dem langen Tunnel folgen wird. Man hat mir gesagt, man würde uns mit größter Freude erwarten. Wir seien geradezu lebensnotwendig! Es konnte also nur gut werden. Während ich also durch die Dunkelheit rutschte malte ich mir meine Zukunft aus. Ich wäre überall beliebt und ein jeder würde sich wünschen, mich zu seinen Freunden zählen zu können. Jäh wurde mein Tagtraum von einem harten Aufprall gestoppt. Ich fiel auf eine Reihe anderer meiner Art. Und bevor ich mich besinnen konnte, wurde ich gegen die Anderen gepresst. Ich fand mich in einer Reihe von 24 weiteren meiner Art, eng an eng gedrückt, wieder. Zu allem Überfluss legte sich ein gelber Bogen Papier um uns, wodurch mir jegliche Sicht genommen wurde. Eine tiefe Dunkelheit legte sich über uns. Töne drängen lediglich gedämpft an uns heran. Und dann folgte Stille. Dunkelheit und Stille. Lebensnotwendig zu sein hatte ich mir anders vorgestellt. Für jeden, der sich fragt, wer ich eigentlich bin, nun, ich bin Nummer 7777, der Prägung 13. Und die meisten nennen mich schlicht „einen Euro“.

Nach langem Stillstand, oder vielmehr Stillliegen, schien endlich wieder Bewegung in unsere Situation zu kommen. Zumindest bewegten wir uns. Auch die Geräusche erwachten wieder zum Leben. Gedämpfte Stimmen waren zu hören, dann Schritte und wir wurden unsanft auf eine harte Oberfläche gelegt. Dort verweilten wir allerdings nur kurz. Eine weitere Stimme erklang. Sie war hell und ich fand, sie klang ziemlich freundlich. Wie gerne hätte ich gesehen, wem diese Stimme gehören mochte. Erneut wurden wir angehoben und plumpsten in etwas Weiches hinein. Erneut verharrten wir in Dunkelheit und meine Hoffnung, nun endlich gebraucht zu werden, sank rapide. Doch ich war näher an meinem Ziel, als ich dachte. Es dauerte nicht lange, da drängen mir gänzlich neue Geräusche entgegen. Unterschiedliche Stimmen in ebenso verschiedenen Sprachen und Tonlagen umgaben uns. Und endlich geschah es. Mit einem lauten Knall wurden wir gegen etwas Hartes geschlagen, unsere lähmende, gelbe Hülle bekam Risse und schließlich purzelten wir in ein Gefäß aus schwarzem Plastik. Helligkeit durchflutete meine Umgebung und kühle Luft legte sich auf meine Oberfläche. Ich war in einer Registrierkasse! Die Schublade der Kasse wurde mit Schwung zugestoßen und ich konnte durchatmen. Von einer Registrierkasse hatte ich bereits gehört. Ich war bereit für mein Abenteuer.


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